Das Pferd ist triebig? Faul? Möchte den Reiter veräppeln? Vielleicht liegt die Ursache ganz woanders. Dr. Britta Schöffmann erklärt am Beispiel des Treibens, welche Art von Klarheit Pferde brauchen, um zu verstehen, was der Reiter überhaupt möchte.
Zu zart oder zu unausbalanciert
Ein ganz typisches Lehrgangs-Szenario: Dressurausbilderin Britta Schöffmann bittet eine Reiterin, von sich und ihrem Pferd zu erzählen. So beginnt stets die erste Stunde für neue Reiter in ihren Kursen, um einen Einblick in Wünsche, Probleme und Ziele zu erhalten. Manchmal kommt es dann vor, dass die Reiterin erklärt, ihr Pferd sei ziemlich faul. Oder, dass sie den Eindruck habe, es nehme sie manchmal nicht ernst und veräppele sie.
Die Ausbilderin hört sich alle Einschätzungen an, überprüft zunächst Sitz von Sattel und Trense und sagt dann meist: „Reit’ erst mal los, damit ich mir ein Bild machen kann.“ Dr. Britta Schöffmann, die ihren Doktortitel übrigens in der Sportwissenschaft erworben hat, sieht dann meist folgendes in der Bewegung des als ‚faul‘ beschriebenen Pferdes: „Entweder der Reiter hat einen noch unausbalancierten und damit wackeligen Sitz, oder er sitzt ordentlich auf dem Pferd, aber ist in seiner treibenden Hilfengebung so zart und vorsichtig, dass diese eher nach dem Motto: ‚Och bitte, geh doch vielleicht etwas mehr nach vorne!’ eingesetzt wird.“
Faul gibt’s fast nicht!
Die wenigsten Pferde sind nämlich wirklich faul oder möchten ihren Reiter veräppeln. Die meisten Pferde wissen einfach nicht, was der Mensch von ihnen möchte, oder sind – unwissentlich – systematisch auf Reiterhilfen desensibilisiert worden. Je nach Reitertyp geht Britta Schöffmann dann weiter vor.
Hilfe bei unbewusstem Dauertreiben
„Der Reiter mit dem wackeligen Sitz hat nicht von jetzt auf gleich die Möglichkeit, einen ruhigen Sitz zu bekommen“, erklärt die Ausbilderin. Sie möchte in so einem Fall deshalb ihre Unterrichtstunde auf den Sitz fokussieren. Viele Reiter haben aber eine ganz andere Idee davon, was sie bei einer Grand-Prix-Reiterin üben möchten. Deshalb geht es erst mal darum, dem Reiter verständlich zu machen, dass der ausbalancierte Sitz allererste Priorität hat. Denn sobald die Balance des Reiters zunimmt, kann erst die Ausbildung des Pferdes bzw. von Reiter und Pferd ehrliche Fortschritte machen.
„Schon ein wackelndes Bein hat Auswirkungen aufs Pferd“, erklärt Britta Schöffmann. Um das ihren Reitern deutlich zu machen, greift sie zur Selbsterfahrung: „Ich klopfe dem Reiter dann zum Beispiel mehrfach auf den Oberschenkel und frage anschließend: Welcher Klopfer davon wäre jetzt ein vortreibender Impuls gewesen?“ Die Antwort der Reiter lautet so gut wie immer: „Keine Ahnung!“
Jetzt kann die Ausbilderin ausholen: Genau das erlebt das Pferd. Es ist nicht faul, sondern es hat einfach keine Chance, herauszufinden, „was das ganze Geklopfe bedeuten soll!“ Das unruhige Reiterbein führt so zu Desensibilisierung: Das Pferd wird in Häppchen daran gewöhnt, dass beim Treiben nichts passiert und nichts passieren soll. Das Nicht-Reagieren hat ihm der Mensch also erst beigebracht!
Die Lösung der Situation liegt daher erst mal in der Sitzkorrektur. Erst, wenn der Reiter in der Lage ist, seinen Körper besser zu kontrollieren und damit seine Schenkelbewegungen besser zu steuern, kann das Pferd korrigiert werden. Wie die Desensibilisierung rückgängig gemacht werden kann, ist im nächsten Beispiel zu lesen.
Hilfe für Reiter, die zu sanft sein möchten
Sitzt der Reiter schon ganz gut, aber die Hilfengebung ist zu zart, fast zögerlich, dann kann es sein, dass die Schenkelhilfe nicht eindeutig genug für’s Pferd ist. Auch hier beginnt die Korrektur dabei, dem Menschen zu erklären, warum es tatsächlich notwendig ist, deutlicher zu werden. Meistens wollen solche Reiter einfach besonders lieb zu ihrem Pferd sein.
Ein Irrglaube, denn er führt zu Missverständnissen. „Ich nutze dann gern das Beispiel vom Müll heraustragen“, erklärt die Ausbilderin und grinst. Das geht so: „Wenn eine Frau ihrem Mann, der gerade gemütlich die Zeitung liest, sage: ‚Schatz, der Müll müsste mal raus…’, dann brummt der vielleicht zustimmend, bleibt aber höchst wahrscheinlich sitzen. Wenn sie hingegen sagt: ‚Schatz, bringst Du bitte jetzt den Müll raus!’, dann passiert’s auch. Beim ersten Mal hat die holde Ehefrau zwar die gleiche Reaktion erwartet, aber für ihren Mann war ihr Anliegen nicht eindeutig“.
Durch dieses Beispiel wird den Reitern meist bewusst, dass Klarheit wichtig ist: „Pferde können auch keine Gedanken lesen. Der Reiter möchte besonders freundlich sein, aber das Pferd reagiert nicht. Aber nicht, weil es faul ist, sondern weil es die Bedeutung der Hilfe nicht verstanden hat. Und weil es zur Interpretation des möglicherweise vom Reiter Gemeinten nicht in der Lage ist.“
Vor der Verfeinerung kommt die Verstärkung
Der zögerliche Reiter soll deshalb klarer kommunizieren. Meint: Schon das Anreiten soll durch einen Impuls umgehend gelingen. „Erst freundlich auffordern, aber wenn dieser kleine Impuls nicht angenommen wird, folgt der klassische Tritt in den Hintern!“ sagt Britta Schöffmann. Meint: Nicht die Sporen in den Bauch hacken, aber eine so deutliche treibende Hilfe geben, dass „das Pferd durchaus mal einen Satz nach vorn machen darf“.
Hier gilt nämlich der Lehrsatz ‚Vor der Verfeinerung kommt die Verstärkung’, den auch Bea Borelle geprägt hat. „Die Reiter merken, dass ihre Pferde durch diese Vorgehensweise sehr schnell wieder auf die Hilfen reagieren und können diese dann wieder deutlich reduziert einsetzen“, erklärt Britta Schöffmann. „Alle reden ja von ‚feinem Reiten‘ und verwechseln das dann mit Halbherzigkeit. Feines Reiten muss man sich aber erst einmal konsequent erarbeiten!“, erklärt sie.
Konsequenz nicht mit Grobheit verwechseln
„Konsequenz bedeutet: Sich immer gleich zu verhalten, keine Ausnahmen zu machen und fürs Pferd berechenbar zu sein“. Beim Pferd soll nicht eine interpretierbare Diskussionsgrundlage ankommen, sondern eine klare Aufforderung. „Nur dann ist es dem Pferd überhaupt möglich ist, die reiterlichen Einwirkungen zu verstehen.“
Zögert der Reiter dagegen, einen korrigierenden, energischen Impuls zu setzten, und gibt nach der freundlichen Aufforderung eine zweite, dritte oder vierte Hilfe gleicher Intensität, „dann sind wir schnell wieder bei Häppchen und erarbeiten uns eine Desensibilisierung“, erklärt die Dressurausbilderin. Das Pferd lernt: Es muss wohl nicht unbedingt etwas bedeuten, wenn der Mensch da mit dem Bein kommt. Allerdings: Der freundliche erste Impuls muss immer zuerst gegeben werden. „Nur so hat das Pferd die Chance, dazu zu lernen.“
Es mag nicht unbedingt populär sein, diese Form von Klarheit einzufordern. Doch genau das Fehlen von Klarheit bringt viele Probleme beim Reiten und auch im Umgang mit Pferden mit sich. „Ich habe das mit der Klarheit und dem ‚was möchte ich’ vom Pferd bereits in der Kindheit sehr verinnerlicht“, erzählt Britta Schöffmann.
Ein Schlüsselerlebnis dazu hatte sie als 12-Jährige. „Ich habe damals mein erstes Großpferd bekommen, eine vierjährige Stute“, erzählt sie. „Irgendwann fing sie an, mir beim Auftrensen den Hintern zuzudrehen und ich zögerte immer mehr, bis ich sie gar nicht mehr getrenst bekam. Eines Tages kam meine Reitlehrerin und fragte, warum ich noch nicht auf dem Pferd säße. Ich erklärte ihr mein Problem, sie ging zur Box, nahm die Trense und klatsche meiner Solana damit ohne zu Zögern genau in dem Moment kurz auf die Kruppe, in dem sie sich wegdrehen wollte. Damit war das geklärt. Solana blieb brav stehen, ließ sich trensen und hat das Dreh-Spielchen nie wieder versucht – auch nicht mit mir.“
Britta Schöffmann hat daraus verinnerlicht: „Was ich vom Pferd möchte, möchte ich. Freundlich, aber bestimmt. Ich sage nicht ‚bitte , bitte, mach doch’. Durch diese Klarheit bin ich für das Pferd lesbar und verhindere, dass es überhaupt zu Differenzen kommt.“
Klarheit im Lob
Wichtig: Klarheit herrscht nicht nur bei unerwünschten, sondern auch bei erwünschten Dingen! „Sobald ein Pferd in meinem Sinne reagiert, muss ich ihm das auch genau in diesem Moment mitteilen“, betont Britta Schöffmann. „Sei es durch Aussetzten der Hilfe, also durch Nachgeben oder Lösen des Schenkeldrucks, sei es durch Lob, durch Pausen oder was auch immer.“ Das richtige Timing ist hier genauso so wichtig wie bei der Hilfengebung an sich. Britta Schöffmann: „Mir sind zwei Sachen bei der Arbeit mit dem Pferd immens wichtig. Erstens, dass es versteht, was es tun soll. Und zweitens, dass es daran Freude empfindet. Es gibt nichts Schöneres, als auf einem motiviert mitarbeitenden Pferd zu sitzen, das in seinen Reiter hineinhorcht und zu fragen scheint, was es tun soll. Erst wenn ein Zwiegespräch auf dieser Ebene funktioniert, funktioniert harmonisches Reiten.“