In diesem Artikel blicken wir mal über den Tellerrand der FN Reiterei und nehmen die klassische Dressur unter die Lupe. Manche verbinden die die klassische Dressur mit bestimmten Ausbildern, andere hören den Begriff von ihrem Reitlehrer, wieder andere ordnen sie dem Barockreiten zu. Was hat es damit wirklich auf sich? Ist sie eine eigene Disziplin oder Reitweise? Woran erkennt man einen „klassischen“ Reiter und ein „klassisch“ ausgebildetes Pferd? Ein klassisches Dressurkonzept ist zum Beispiel die Reitweise der Légèreté: Aber was genau machen Philippe Karl und seine Schüler anders? Ein Kursbesuch zum Légèreté Reiten zeigt Unterschiede und Ähnlichkeiten zur konventionellen Reitmethode auf:
Zum Wohl des Pferdes – Ursprünge der klassischen Dressur
Das Pferd war sehr lange nur ein Nutztier für den Menschen. Diente es früh als Nahrungsquelle, wurde es im Krieg bald auch als Transportmittel oder Waffe eingesetzt. Für den Krieg brauchte man aber nicht einfach nur ein Pferd, das einen Soldaten trägt. Nicht selten entschied es immerhin darüber, ob er überlebte oder nicht. Es musste wendig sein, auf jedem Huf voll belastbar, agil und vor allem perfekt an den Hilfen stehen. Das galt auch und besonders in extremen Situationen. Die Ausbildung solcher Pferde war sowohl langwierig als auch sehr teuer. Schon früh beschäftigte man sich damit, wie man solche Pferde am besten und effizientesten ausbilden kann. Dabei bekam die langfristige Gesunderhaltung des Pferdes bekam einen hohen Stellenwert.
Ein wichtiger Aspekt, der heute oft in Vergessenheit gerät: Die Anforderungen eines Kriegspferdes erreichte man durch Lektionen, die alle einen bestimmten Zweck hatten. Die Lektionen sind nach den Grundsätzen der klassischen Dressur also nicht das Ziel, sondern das Mittel. Sie sind für das Pferd da, für seine Gymnastizierung, seine Ausbildung, seine Gesunderhaltung.
Die Anfänge der Lehre von dem Verhältnis zwischen Pferd und Reiter finden sich bei Xenophon (430-354 v. Chr), der schon sehr früh einen ausbalancierten Sitz forderte. Er war der erste, der das Verhältnis zwischen Pferd und Reiter von wissenschaftlichen Gesichtspunkten aus betrachtete. Über die Jahrhunderte wurden durch Schriften verschiedener Reitmeister und Hippologen die Grundsätze der heutigen klassischen Reiterei niedergeschrieben.
Auf keinen Fall entgehen lassen solltest du dir das Thema Blickschulung.
Was ist die Schule der Légèreté?
Was ist das eigentlich genau, diese Schule der Légèreté? Meist fallen den Menschen zwei Dinge ein: Ein Mann namens Philippe Karl und sie sagen: „Das sind die, die mit hohen Händen reiten!“
Nicht ganz falsch, aber lückenhaft. „Schule der Légèreté“ steht für eine Ausbildungsweise. Die Idee ist: Eine Schule der Leichtigkeit, die Pferd und Reiter zu höchsten Dressurlektionen führen kann, aber auch im Basisbereich funktioniert. Begründer ist Philippe Karl, übrigens Ehemann von Bea Borelle. Die Grundlage bildet das Wissen der alten Meister. Der Reiter der Légèreté soll mit feinsten Hilfen reiten und das Pferd soll in Leichtigkeit zu Bein und Hand reagieren. Das lässt doch aufhorchen! Denn wollen wir Reiter nicht alle fein reiten?
Ablauf der klassischen Ausbildung
Die Ausbildung des Pferdes beginnt in der klassischen Reitkunst erst mit dem 3-jährigen Pferd. Am Anfang wird mit dem jungen Pferd nur über 15-20 Minuten 2-3 Mal die Woche gearbeitet. Völlig zwanglos und mit Ruhe wird das Pferd an die Hilfen vom Boden aus herangeführt.
Da die Lektionen der klassischen Reitkunst immer der Natur des Pferdes entspringen, sollte ihr auch die Reihenfolge der erlernten Lektionen entsprechen. So wird zum Beispiel eine Trabverstärkung üblicherweise erst nach dem Erlernen der Piaffe und Passage abgefragt. Natürlich kann man sie auch mit dem jungen Pferd einmal zur Überprüfung der Rittigkeit in das Training einbauen. Entscheidend ist dabei, den natürlichen Bewegungsablauf des Pferdes nicht zu stören. Die diagonale Beinbewegung soll also erhalten bleiben, während sich die Nase eher vor der Senkrechten befindet.
Richtig ausgeführt kann eine vollendete Trabverstärkung eindrucksvoll aussehen und gilt bei einigen Pferdekäufern als Aushängeschild. Deshalb wird sie in der Praxis häufig zu früh abgefragt, was in einer ungesunden Haltung des Pferdes mündet („Strampeln“). Das ist entgegen der klassischen Grundsätze aber auch entgegen der Richtlinien der FN!
Eine Trabverstärkung als solches ist ein eher unnatürliches Verhalten für das Pferd. Der Trab stellt für ein Pferd eigentlich nur den Übergang zwischen Schritt und Galopp dar. In freier Wildbahn sieht man eher selten Pferde traben.
Wieso piaffieren die Pferde in der Légèreté Reitweise schon so früh?
Ähnlich verhält es sich mit der Anlehnung. Ziel ist es nicht eine dauerhafte Anlehnung des Pferdes an beiden Zügeln zu erreichen, sondern ein Pferd, das in Selbsthaltung läuft und nur sehr wenig die Zügel braucht. Gewünscht ist ein Pferd, das auch bei nachgegebenem Zügel die Selbsthaltung behält und erst, wenn der Reiter es mit dem Sitz zulässt, sich streckt. Entscheidend ist, wer den Kontakt aufgibt. Sieht man einen lockeren Zügel, weil das Pferd sich verkriecht, ist das nicht gewünscht. Aber sieht man einen lockeren Zügel, weil der Reiter loslässt und das Pferd sich streckt, ist das genau das gewünschte Verhalten.
Die Piaffe ist eine der besten Übungen, um dein Pferd zu stärken und die Gewichtsverteilung deines Pferdes zu unterstützen. Sie wird nach klassischen Grundsätzen in der Légèreté daher auch schon mit dem jungen Pferd geübt. Die richtige Ausführung und der richtige Aufbau der Übung ist dabei entscheidend.
Das Geheimnis in der Reitweise der Légèreté
Den Unterschied in der Légèreté sieht man vor allem in der Kooperation zwischen Reiter und Pferd. Die Methodik fürs Pferd ist in ganz kleine Lernschritte aufgebaut, die aufeinander aufbauen aber auch ebenso wieder zu entflechten sind, wenn etwas nicht klappt. Das führt zu hoher Motivation des Pferdes. Bettina Siemer, lizenzierte Ausbilderin der Légèreté Methode aus Wien, erklärt das Resultat daraus so: „Das Ergebnis sind zufriedene, leistungsbereite Pferde, die im Laufe der Ausbildung an Schönheit und Ausdruck gewinnen und nicht verlieren, wie es leider in anderen Reitweisen oft der Fall ist.“
Vor allem der andere Weg zu höchsten Lektionen kennzeichnet die Ausbildungsmethodik der Légèreté. Das Ziel ist letztlich ähnlich dem der konventionellen Methode. Schlagartig bekannt wurde Philippe Karl, Jahrgang 1947, als er ein mutiges Buch veröffentlichte: „Irrwege der modernen Dressur“. Das Buch prangerte das Einrollen an und den täglichen Wahnsinn auf konventionellen Turnieren und in Ausbildungsställen. Dazu erklärte Philippe Karl haarklein, wo das konventionelle Ausbildungssystem seine Schwachstellen und Ungereimtheiten habe. Er stellte sogar die Kronjuwelen der konventionellen Reitweise in Frage, die „Skala der Ausbildung“.
Das erzürnte die Gemüter. Das rüttelte auf. Es hielt aber einige auch davon ab, mal genauer hinzuhören, was die Schule der Légèreté lehrt. Zu entdecken gibt es nämlich keine Trickkiste, sondern ein höchst durchdachtes System.
Jedoch ist das System der Légèreté nicht ausschließlich Freizeitreitern vorbehalten! Die in Österreich lizenzierte Ausbilderin Anke Ziegast etwa ritt vor ihrer Ausbildung in Deutschland im Jugendkader der Dressur bis zur Turnierteilnahme bei Prüfungen der Klasse St. Georg. Die Lektionen saßen, aber der Weg stimmte für sie nicht: „ Die Erfahrungen in der Dressurszene führten mich und meine Pferde regelmäßig mental und psychisch in eine Sackgasse“, erzählt sie. Erst durch Philippe Karl habe sie mit der Légèreté eine Alternative gefunden, qualitativ hochwertige Dressur zu erarbeiten.
Reiten in der Légèreté: Komplett ohne Hilfszügel
Die Braune zieht beim Viereck Vergrößern deftig in die Hand. „Nein, tu dir das nicht an!“ sagt die Kursleiterin. Sie geht in die Hallenmitte. Lässt das Paar anhalten. „Erkläre ihr die Beizäumung noch mal im Stand“, sagt sie zur Reiterin. Diese senkt daraufhin die äußere Hand ab, stellt die innere Hand höher. Das Pferd reagiert, es kippt die Nase bis zur Senkrechten ab. Es kennt dieses Zeichen. „Genau!“, sagt die Leiterin, „Entflechten von Aktion und Bewegung!“
Generell werden in der Schule der Légèreté keine Hilfszügel verwendet: kein Schlaufzügel, kein Martingal, kein Ausbinder, auch nicht an der Longe. Das Pferdemaul ist der Reiterhand vorbehalten und soll so fein wie nur möglich sein. Sperrriemen werden nicht verwendet. Viele in der Methode der Légèreté gerittenen Pferd tragen Knebeltrensen, also Trensen mit seitlicher Begrenzung.
Die Handpositionen des Reiters in der Légèreté sind vielfältig: mal üblich nebeneinander aufgestellt, aber auch mal diagonal verschoben, mal hoch, mal Handgelenke so gedreht, dass die Handflächen gen Decke zeigen. Der Grund, warum die Hand nach oben darf: Weil der Zügel dann in der Maulspalte wirkt und nicht auf der viel empfindlicheren Pferdelade.
Die Methodik greift auf Reitlehren von Meistern wie Xenophon, Baucher, La Guérinière oder Pluvinel zurück. Philippe Karl hat dies für sich in der Schule der Légèreté interpretiert und Erkenntnisse von Anatomie und Psychologie ergänzt.
Wieso werden Seitengänge in der Légèreté früh geritten?
Was unterscheidet die Methoden weiter? „Die Seitengänge, das Verschieben von Schulter und Kruppe, werden in der Schule der Légèreté viel früher eingeführt“, sagt Bea Borelle, „da sagen die Konventionellen doch: das ist zu schwer, das machen wir erst ab M“. Dagegen kämen Trabverstärkungen bei den konventionellen Dressurreitern früher in der Ausbildung vor.
Was konventionelles Reiten und die Légèreté gemeinsam haben? Gleich sind oftmals die Übungsaufbauten: Wie Schulterherein erarbeitet wird, oder das Trabverstärkungen durch Tempiunterschiede zu verbessern sind, oder dass sich die Rittigkeit durch das Reiten vieler Übergänge verbessert. Ebenso ist die Hilfengebung teils gleich, etwa das Zurückkommen des Pferdes auf die Hilfe des zurückgenommenen Schenkels.
Abkauübungen als Teil des Trainings in der Légèreté
Ganz essentiell für Philippe Karls Schule der Légèreté sind die so genannten Abkauübungen.
Dabei wird das Pferd zunächst an der Hand, später aus dem Sattel, in der Beziehung zwischen Maul und Gebiss geschult. Es lernt Zeichen kennen, die es kauen lassen, Zeichen, die es in die Dehnung schicken, die sein Genick öffnen, die es an den Zügel stellen. Das Repertoire an deutbaren Hilfen wird so für das Pferd erweitert.
So, wie man fürs Angaloppieren eine Schenkelhilfe hat, so hat man hier Zeichen, um dem Pferd zu sagen: „Dehn dich!“. Hierbei wird beispielsweise ein Druck beidseitig, gleichmäßig in die Maulspalte gegeben. Die Pferde lernen, zu differenzieren. Das Zügelzeichen für „Nimm den Kopf höher, öffne Dein Genick!“, wodurch die Nasenlinie an oder vor die Senkrechte geholt wird, ist etwa eine schnelle Folge von zarten Impulsen in die Maulspalte. Auch das Kauen kann so gezielt abgefragt werden.
Diese Zügelzeichen, genannt Abkauübungen, erarbeiten Leichtigkeit zur Hand, Flexibilität des Halses, Dehnung und Beizäumung.
Dehnungshaltung: Ja oder Nein?
In der klassischen Dressur ist das Thema rund um die Dehnungshaltung oft eine Streitfrage. Ist das vorwärts-abwärts Reiten sinnvoll oder schädlich und „warum machen wir das so?“. Dies ist tatsächlich eine der häufigsten Fragen auf Kursen der Schule der Légèreté. Bea Borelle hat zur Dehnungshaltung eine klare Meinung. Auf die typische Lehrgangsfrage: „Auf wie viele Gründe kommen Sie, warum es sinnvoll ist, ein Pferd in Dehnungshaltung zu reiten?“ hat Bea Borelle ganze zwölf Antworten. Zum Beispiel: Abrufbarkeit, um in schwierigen Lektionen die Hinterhand nicht zu blockieren, um Raumgriff zu erarbeiten, für Takt und Anlehnung, damit das Pferd in den Zügelkontakt strebt.
Gibt es dann eigentlich einen Unterschied zwischen der klassischen Dressur und der FN-geleiteten englischen Dressur?
Die Antwort ist: Im eigentlichen Kern nicht. Bei der barocken Reitweise oder der Arbeitsreitweise Working Equitation wird vielleicht eine andere Ausrüstung genutzt und häufig wird sie, wie die klassische Dressur, mit dem Reiten iberischer Pferderassen verbunden. Die Grundsätze der dressurmäßigen Ausbildung des Pferdes sind jedoch theoretisch dieselben.
Denn die Richtlinien der FN entsprechen, entgegen der Erwartungen vieler Reiter, den Grundsätzen der klassischen Dressur. Sie beschreiben sehr genau die Grundsätze der einzelnen Lektionen, wie sie auch in der klassischen Dressur geritten werden sollen und wie ein gesundes Pferd richtig geht. Lektionen wie die Traversale oder die Piaffe werden, wie oben erwähnt, nicht als Ziel der Dressur angesehen, sondern als Mittel für die Gymnastizierung des Pferdes. Im Reitsport der Gegenwart entsteht trotzdem häufig der Eindruck, als wären die klassische Dressur und die „FN-Reiterei“ zwei unterschiedliche Reitweisen und das nicht nur wegen der Unterschiede bezüglich Pferderassen.
Das liegt allerdings nicht an den klassischen Grundsätzen selbst, sondern an ihrer unterschiedlichen Interpretation bzw. Umsetzung. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind mangelnde Geduld, Geld und Erfolg. Ein Pferd gewissenhaft nach klassischen Grundsätzen bzw. nach den Richtlinien der FN auszubilden, kostet Geld und braucht viel Zeit. Unter dem Druck des modernen Turniersports haben viele dieses nicht bzw. werden oft schnelle Erfolge erwartet. Junge Pferde werden in Lektionen gezwungen, die noch nicht ihrem Alter und ihrer physischen Entwicklung entsprechen. Es kommt zu einer unnatürlichen Halshaltung, die dem Pferd mehr schadet als nützt und es werden Methoden entwickelt, die schnelle Ergebnisse herbeiführen. Diese Methoden haben mit den klassischen Grundsätzen aber nicht mehr viel gemein.
Zentrale Frage: Warum machen wir das?
„Die klassische Reitkunst orientiert sich an der Natur des Pferdes, sie verlangt keine Bewegungsabläufe oder Haltungen, die ein Pferd nicht auch in Freiheit absolvieren würde. Das Pferd soll durch gute und logisch aufgebaute Übungen sein Gleichgewicht finden, so dass es sich zufrieden und selbstbewusst dem Willen des Reiters unterwirft, ohne dass sein natürlicher Bewegungsablauf auf irgendeine Art darunter leidet. Es darf aufgrund der Ausbildung weder psychisch noch physisch Schaden erleiden. Sondern das Ziel ist vielmehr ein Pferd, das bis ins hohe Alter gesund und leistungsfähig bleibt. Ein weiteres Ziel ist die Minimierung der Reiterhilfen.“ (Zitat von Anja Beran)
Fazit: Unsere Wurzeln sind dieselben
Schaut man sich die Grundlagen und die Wurzeln der klassischen Reitlehre, der Richtlinien der FN, sogar der Westernreiterei oder der Arbeitsreitweise Working Equitation an, stimmen sie in den meisten Aspekten überein. Wir möchten unsere Pferde alle pferdefreundlich und gesunderhaltend fördern und ausbilden – egal mit welcher Ausrüstung oder welchen Pferderassen.
Es kann also äußerst sinnvoll sein, immer mal wieder zu hinterfragen, warum man eigentlich auf die Art und Weise reitet, wie man reitet und auf welchen Grundsätzen diese Reiterei beruht. Unabhängig von dem, was auf manchen Turnierplätzen zu sehen ist. Und auch unabhängig von dem was dir vielleicht dein Reitlehrer erzählt, der sich selbst lange nicht mit den Grundlagen und Erkenntnissen der alten Meister beschäftigt hat.