Kennst du die Diskussionen ums Anweiden? Alle freuen sich auf frisches Grün, aber die Unsicherheit bei vielen Pferdebesitzern ist groß. Wie lange darf das Pferd denn anfangs auf die Weide? Was macht das Gras mit dem Darm und dem Stoffwechsel? Fütterungsexpertin Conny Röhm erklärt, wie sicheres Anweiden geht und was im Pferd die Umstellung von Heu auf Gras bedeutet. Plus: Was du zusätzlich tun kannst, damit das Anweiden problemlos gelingt. Das hat übrigens was mit Training zu tun!
Wie schnell darf das Pferd nach dem Anweiden auf die Weide?
Der eine Pferdebesitzer geht wochenlang mit dem Pferd zuvor an der Hand grasen, der Nachbarstall schmeißt alle Pferde ohne solche Vorbereitung auf die Weide. Was ist richtig, wie lautet denn das beste Rezept für den Stoffwechsel des Pferdes? „Es gibt keinen Königsweg, es kommt darauf an, was für ein Pferd und was für eine Weide man hat“, erklärt Conny Röhm. Ist das Pferd gesund und das Gras schon länger vom Halm her, dann wird die Umstellung unproblematischer sein. Ist das Pferd vorgeschädigt oder krank, dann ist mehr Vorsicht gefragt. Grundsätzlich gilt: „Mit 15 Minuten grasen beginnen ist eine gute Idee“, sagt sie. Bei einem normalem Pferd würde sie es für drei Tage lang 15 Minuten lang fressen lassen, dann für drei Tage lang 30 Minuten fressen lassen, dann für drei Tage lang 45 Minuten lang fressen lassen. „Danach kann man schneller vorgehen. Von zwei auf zweieinhalb Stunden erhöhen und danach stundenweise so weiter gehen.“
Wie schnell kann man die Weidezeit der Pferde steigern?
Für Betriebe, die auf 24 Stunden Weidezeit kommen wollen, empfiehlt sie ebenso das stundenweise Erweitern der Weidezeit beim Anweiden. „Wenn die Pferde mehr als acht Stunden auf der Wiese gestanden haben, dann können Sie ganz raus.“ Die Voraussetzung dafür, dass das klappt, sei jedoch, dass Weide und Pferdetyp zusammen passen. Meint: „Wenn das Pferd ein Problem mit Übergewicht hat, ist das fraglich, ob es 24 Stunden auf der Weide richtig aufgehoben ist.“ Vollblüter, Warmblüter und Jungpferde kommen grundsätzlich besser mit dem Grasangebot klar als Robustrassen. „Die stecken das besser weg, auch wenn es für sie eine Belastung des Organismus ist.“ Je mehr Pferde arbeiten, desto weniger gefährdet sind sie, negative Auswirkungen wie Koliken oder Hufrehe von mehr Weidezeit zu erfahren.
Das konkrete Anweiden: Mit Fressbremse auf die Weide?
Pferde mit Übergewicht anzuweiden ist hingegen nicht unproblematisch. Conny Röhm hat schon Haflinger mit 680 Kilo und Fellponys mit 700 Kilo Gewicht in der Futterberatung vorgestellt bekommen. Das ist viel zu viel Gewicht für diese Rassen. „Es ist dann auch keine Lösung, diese Pferde viele Stunden mit der Fressbremse auf die Weide zu lassen, denn damit nehme ich dem Pferd viele Möglichkeiten der Mimik.“ Sechs Stunden Maulkorb tragen sei für sie vertretbar – länger sei es nicht gut. Ein weiterer Grund, diese Zeiten zu beschränken, ist für sie der Schutz der Pferdezähne und die veränderte Kiefermechanik durch Fressbremsen. „Jedes Pferd hat eine andere Fresstechnik mit einer Fressbremse, schlenkern aus dem Genick heraus ist zum Beispiel häufiger zu beobachten. Das ist anstrengend fürs Pferd!“
Pferdekrankheiten wie Koliken und Hufrehe vermeiden
Natürlich gibt es Betriebe, die die Pferde von heute auf morgen oder innerhalb von drei Tagen komplett auf die Weide lassen. Und bei denen seit Jahrzehnten mit dieser Methode nichts passiert ist, keine Kolik, keine Hufrehe entstand. „Da kann man nur sagen: Glück gehabt!“ so die Futterexpertin. Empfehlenswert sei das jedoch keinesfalls. Zum einen, weil das Anweiden so schief gehen kann und dann ein Pferd leidet. Zum anderen auch, weil Betriebsleiter letztlich verantwortlich sind, wenn durch so eine Praxis etwas passiert.
Das Anweiden für die Verdauung
Pro Stunde nimmt ein Pferd vier bis fünf Kilo Gras auf. Dieses Gras besteht zu 70 Prozent aus Wasser, es hat wenig Rohfaser. Die Darmflora muss sich bei der Gewöhnung vom rohfaserreichen Heu auf das rohfaserarme Gras stark umstellen. Durch den hohen Wasseranteil steigen die Sekretdurchflüsse, die Nieren haben mehr zu tun, die Pferde urinieren häufiger. Dadurch steigt der Bedarf, Salz aufzunehmen. Durch das Gras erhält das Pferd aber auch automatisch mehr Nährstoffe, als im Heu vorhanden sind. Wichtig ist, dass Weidepferde einen Salzleckstein zur stetigen Verfügung haben. Im Gras kommen weit mehr Bakterien vor als im getrockneten Heu. Die Keimbesiedlung bekommt das gesunde Pferd ohne weiteres in den Griff, sein Magen killt 90 Prozent der Bakterien. Es kommt so zu einer Neubesiedlung mit Keimen im Darm, zudem erhält der Organismus mehr Nährstoffe die nicht alle resorbiert werden. Das Anweiden ist daher eine große Veränderung der Darmflora. Die Zusammensetzung der Darmflora ist ja stets abhängig von den Futtermitteln, erklärt Conny Röhm. „Das Gefüge verändert sich, die Darmflora muss sich umsortieren.“ Zufüttern würde sie deshalb nicht extra etwas, denn „Anweiden ist für ein Pferd ein einfacher Prozess!“ Es gibt jedoch etwas, was der Mensch tun kann, damit das Anweiden gut gelingt: „Lange im aeroben Bereich reiten oder das Pferd anderweitig bewegen ist wirklich wichtig“, sagt Conny Röhm, „Den großen Bauch bewegen, damit das Gas, was drin ist, den Weg raus finden kann. Dazu langsam und spät anweiden und auf den Salzleckstein achten.“ Mehr Infos zum Thema Fütterung und den genauen Inhaltsstoffen von Gras, Kraftfutter und Heu bekommst du auch hier.
Das Pferd täglich bewegen beim Anweiden ist wichtig
Aerobes Arbeiten meint ruhige Bewegung, die nicht schon nach 30 Minuten wieder vorbei ist. Das können zum Beispiel lange Ausritte im Schritt und Trab sein. „Jede Form von Bewegung ist gut, abhängig von Gesundheit, Ausbildung“, erklärt Conny Röhm. Zeitlich sollte eine Stunde solcher Bewegung für jedes Pferd kein Problem sein. Wer nicht reiten möchte oder kann, „der zieht sich die Wanderschuhe an und geht los!“ Ein, zwei Stunden Spazierengehen sei auch eine Alternative. Wenn du verstehen willst, warum bergauf- und bergab zu laufen oder zu reiten sehr sinnvolles Training für dein Pferd ist, dann findest du in diesem wehorse Blogartikel viele wertvolle Informationen.
Pferde benötigen auch Pausen beim Anweiden
Bewegen direkt nach dem Gras fressen ist immer eine gute Idee. Es hilft insbesondere auch, wenn der Besitzer beim Anweideprozess einen Tag oder zwei nicht in seinem auferlegten Rhythmus bleiben konnte. „24 Stunden Pause vom Anweiden sind nicht so kompliziert“, sagt Conny Röhm. „Schwierig ist es wenn es drei Tage sind. Dann im Zweifelsfall nicht mehr als drei Stunden aufs Gras lassen“, empfiehlt sie. Solche Unterbrechungen können Verdauungsprobleme verursachen. „Das Pferd gast schnell bei Veränderung von Futtermitteln auf, das Ende ist eine große Gasproduktion. Die Pferde kommen von der Wiese und sehen aus wie Ballons. Ganz wichtig: Die dürfen dann nicht in die Box, sondern müssen bewegt werden!“ Bewegung direkt nach dem Weidegang ist sowieso neben der bedachten Stundenzahl das beste Mittel, um Koliken vorzubeugen und dem Pferd generell zu helfen, das Gras zu verdauen.
Was bedeutet spätes Anweiden für Pferde?
Das späte Anweiden, das Conny Röhm empfielt, ist nicht am Datum im Kalender messbar. Es kommt auf Region und Wetter an. Gut ablesbar ist der richtige Zeitpunkt am Gras selbst: „Wenn der Samenstand der frühblühenden Gräser zu sehen ist, zum Beispiel von Knaulgras und Wiesenschwingel, dann kann man mit dem Anweiden beginnen!“ Das späte Anweiden ist nicht nur für die Pferde gesünder, sondern auch für die Weidewirtschaft wichtig: „Wir Pferdeleute brauchen uns nicht über artenarme Weiden aufregen, wenn wir zugleich die Frühblüher nicht aussamen lassen!“ Gräser wie Knaulgras oder Wiesenschwingel sind ein- oder zweijährig, „ wenn ich die vor dem Aussamen abfressen lasse, bleibt nur der Spätblüher übrig, und das ist dummerweise das Weidelgras. Dummerweise, weil Weidelgras einen hohen Eiweiß- und Zuckergehalt hat. Das macht Weidelgras zur perfekten Futterpflanze aus betriebswirtschaftlicher Sicht, aber nicht optimal für unsere Pferde“ so die Futterexpertin. Pferde, die schon seit Monaten auf der Weide stehen, denen tut deren Besitzer nichts Gutes: „Ich hab Pferde im März auf der Wiese gesehen oder Ende Februar – das ist selbstgemachtes Leid, Krankheit mit Ansage!“
Beachte unterschiedliche regionale Zeitpunkte zum Anweiden von Pferden
Die regionalen Unterschiede können groß sein. Es gilt die Regel im Flachland und Tieflagen wie Niederrhein oder Teile des Rheinlands: Nicht vor Ende April anweiden. Die Höhenlagen und Mittelgebirge brauchen noch mal zwei Wochen länger, „Hier bei mir in der Eifel beginnen wir Mitte Mai mit dem Anweiden.“ Fällt wenig Regen, verschiebt sich alles noch mal: „Ich war letztens in Norddeutschland, in Hamburg ist die Flora schon recht weit, aber es wächst nicht viel, es fehlt der Regen.“ Fehlt Regen, dann spricht man von Mangelgras, das Gras hat viel Zucker aber wenig vom Rest: Proteine, Spuren- und Mengenelemente sind dann rar. „Damit das Gras Proteine produzieren kann, braucht es Wasser. Das Gras ist ohne reichlich Niederschlag auch recht armselig, was Spuren- und Mengenelemente angeht. Diese nämlich gelangen reisend in die Pflanze als gelöstes Mineral.“ Nicht gut – da kann man als Pferdehalter nur auf Regen hoffen.
Der Zuckergehalt in frischem Gras
Klug ist es, den Anweideprozess in den Nachmittag oder am besten in die Abendstunden zu verlegen, denn ab mittags sinkt der Gesamtzuckergehalt im Gras. „Wenn die Pferde mittags gefüttert wurden und deshalb satt auf die Weide kommen, hat man gute Vorraussetzungen für ein gesundes Anweiden“, erklärt Conny Röhm. Der Pferdehalter sollte sein Pferd zudem genau beobachten: Gast es stark auf nach dem Weidegang? Reagiert es mit Durchfall und Kotwasser auf die Umstellung? „Je später man anweidet, desto ungefährlicher ist es“, sagt Conny Röhm. „Denn je weniger Belastung ich auf den Organismus bringe, desto unspektakulärer ist das! Pferde können das Anweiden grundsätzlich ohne Probleme wegstecken.“