Schaut mal, das habe ich auf dem Flohmarkt gefunden. Ein Pferd auf dem Spiegeltitel von 1957! Und dazu eine „Wie aus einem hässlichen Entlein ein stolzer Schwan wurde“- Geschichte. Wahnsinn. Nicht denkbar heute. Auch, weil das Pferd an sich nicht mehr so sehr im Alltag und Stadtbild vorkommt, wie damals. Die gesellschaftliche Akzeptanz war eine komplett andere. Da konnte man auch noch ein Pferd mit einer Positivstory auf den Titel packen!
Ich kaufte das Heft sofort und las dann zuhause die ganze Geschichte. Es geht um den Vollblüter Ribot xx, der in den 50er Jahren ein Held war. Ein hässliches, auffällig unharmonisch gebautes und zu kurzes Pferd, so heißt es, das aber in 16 Rennen ungeschlagen war und den großen Preis des Arc de Triomphe gleich zwei Mal gewann. Danach durfte er nicht mehr teilnehmen, weil er die Wetten ruinierte.
Papiertüten als Ohren
Für wie hässlich Ribot xx empfunden wurde, beschreibt der Autor ziemlich drastisch: „Ribot besitzt einen tiefliegenden Bug und einen kurzen Rücken. Sein Kopf ist lang und schwer, seine Ohren erinnern an missratene Papiertüten.“ Niemand, auch nicht sein Besitzer, traute dem Pferdchen, der wie ein Hase galoppierte, eine solche Karriere zu. Doch der 1952 geborene Hengst hatte wohl eine enorm starke Hinterhand, die Hinterhufe hätten bei jedem Galoppsprung so eng beeinander gelegen, dass er eine enorme Geschwindigkeit entwickeln und halten konnte. Als Wunderpferd beschreibt der Autor (leider wird kein genauer Name genannt) Ribot xx, weil er zudem das doppelte Lungenvolumen eines normalen Vollblüters gehabt habe und sechs Pulsschläge weniger pro Minute als andere Rennpferde: „Nach einem 1800-Meter-Galopp liegt der Pulsschlag bei 85 bis 90; zwei Stunden nach dem Rennen sind Pulsschlag und Blutdruck des Pferdes wieder normal.“
Dann wird in dem Artikel über eine ganze Doppelseite der Stammbaum Ribots xx auseinandergenommen, die typischen Vollblüter-Stammväter Darley Arabian, Godolphin Arabian und Byerley Turk sind sogar als Illustration zu sehen. Wahnsinn! Kann sich das jemand in einem aktuellen Spiegel vorstellen?
Ein Rennstil wie ein Kaninchen
Es folgt eine genaue Stammbaumanalyse, die zum Beispiel erörtert, dass ein Hengst namens St. Simon sieben Mal im Pedigree Ribots xx vorkommt. Dieser habe 16 statt 18 Rippen besessen, und fünf statt sechs Lendenwirbel, außerdem den Kaninchen-Hasen-Rennstil, den auch sein Nachfahre Ribot xx habe.
Tief in dieser Geschichte versteckt ist noch ein Schatz, für mich jedenfalls. Es gibt nämlich ein Zitat, das ich sehr mag, und auch schon bei den Adventskalendern, die ich seit einigen Jahren ja mache, verwendet habe (also eigentlich habe ich es jedes Jahr eingebaut, weil ich das Zitat so mag). Es lautet so:
„Ein Pferd galoppiert mit seiner Lunge,
es hält durch mit seinem Herzen;
aber es gewinnt nur mit seinem Charakter“
Pferdekenner Tesio
Gesagt hat dies, so ist es in allen Quellen zu finden, Federico Tesio, ein Vollblutexperte. Aber mehr ist über ihn oft nicht zu finden. Ich dachte immer: Hab’ ich da eine Lücke, oder ist der Typ so unbekannt? Tja, und dieses alte Spiegel-Heft erklärt mir nun ganz genau, was es mit dem Italiener Federico Tesio auf sich hat. Tesio ist nämlich der Züchter von Ribot xx. Federico Tesio war ein klein gewachsener Mann, kam aus Turin, wuchs in einem Internat auf und sein Pferdeverstand galt später als intuitiv und legendär. Dabei ließ er sich nicht gern in die Karten gucken – im Heft wird das so beschrieben:
„Lästige Ausfrager fertigte Tesio mit einem Trick ab (….). Er setzte sich umständlich eine Nickelbrille auf und erläuterte an den Stammbäumen seiner Pferde das Funktionieren der Mendelschen Vererbungsgesetzte. Was er in Wirklichkeit betrieb, war indessen weniger Wissenschaft als „Blut-Alchemie“, eine intuitive Methode der Kreuzungen, die eher wie Hexerei wirkte.“
Ein Überpferd – dank viel Bauchgefühl
Der Mann träumte von einem ‚Überpferd’, ähnlich dem Übermenschen Nietzsches und setzte alles daran, eben ein solches zu züchten. Er hat auch über die Zucht geschrieben, „Das Vollblut als Zuchtversuchstier“ heißt seine Schrift. Seinen Pferden gab er oft Namen von berührten Malern und Bildhauern – Botticelli oder Michelangelo zum Beispiel. Auch Ribot war ein Maler, genauer aus dem 19. Jahrhundert. Er hat allerdings die Erfolge von Ribot xx nicht mehr erleben können – er starb zwei Monate vor dessen ersten Start.
Tesio erzählte wohl auch gern, dass Signorienetta xx, das Siegerpferd des englischen Derbys von 1908, durch die eigene Hengstwahl ihrer Mutter entstanden sei. Die Stute sollte von einem Spitzenhengst bedeckt werden, interessierte sich auf der Deckstelle dann aber so deutlich für einen eher mittelmäßigen Hengst, Chaleureux xx, dass sie doch von ihm gedeckt wurde. „Die Frucht dieser Liaison war Italiens erste Derby-Siegerin Signorinetta“, heißt es in dem Artikel. Ich glaube, so spontane und intuitive Deck-Entscheidungen kennt wohl jeder, der ein wenig oder auch recht viel züchtet.
Churchill ehrte den Hengst
Ribot xx hatte zu seinem Karriereende übrigens auch einen sehr bekannten Gast: Winston Churchill kam 1957 extra zu Ribots Abschluss-Vorstellung in Mailand. Genau dort, bei einem Sektfrühstück, soll Churchill auch gesagt haben (Achtung, zweites tolles Zitat in diesem Heft):
„Gebt euer Geld nicht euren Kindern. Vielleicht verschwenden sie es. Gebt es an ein Pferd.“
Angeblich mit einem weisen Lächeln auf den Lippen. Herrlich.
P.S.: Wer mehr von dem historischen Magazin sehen will: Hier sind ein paar mehr Ausschnitte zu sehen.