Jedes Pferd kommt unausbalanciert auf die Welt. Wenn es allein für sich auf der Wiese schief herum läuft, ist das nicht weiter tragisch. Wenn jedoch das Reitergewicht hinzu kommt, ist es wichtig, dass das Pferd lernt, seinen Körper so zu nutzen, dass es die Belastung gleichmäßig verteilt. Hier kommt die Geraderichtung ins Spiel.
Wer reitet, braucht Geraderichtung
Ohne Geraderichtung riskiert der Reiter Verschleiß und Schmerzen, daher ist es wichtig, zu erkennen, welche Schiefe im Körper beim eigenen Pferd vorliegt. Es gibt auch Übungen, die je nach Schiefe helfen können, dein Pferd vermehrt geradezurichten.
Die natürliche Schiefe des Pferdes
Ein kleiner Exkurs, um zu erklären, was die Schiefe des Pferdes ist und warum diese ein Problem beim Reiten ist: Pferde tragen ihr Eigengewicht von Natur aus nicht auf allen vier Gliedmaßen gleich verteilt. Ein schönes Bild dazu von Dressurausbilder Jan Nivelle: Das unausgebildete Pferd gleicht einem Gebäude auf vier Säulen. Zwei davon stehen so, dass sie das Dach tragen, eine ragt so heraus, dass sie kaum Gewicht mitträgt, und die vierte ist so sehr verschoben, dass sie die Hauptlast trägt. Wenn man das Haus aufstocken will, müssen die Säulen jedoch gerade unter jeder Ecke des Daches stehen, sonst ist das Gewicht zu schwer.
Rechtsbiegung
Das unausgebildete Pferd trägt in den meisten Fällen die meiste Last vorn rechts. Deshalb fällt es den meisten Pferden leichter, sich nach links zu biegen. Wer reiten will und nicht riskieren möchte, dass das Pferd durch das Reitergewicht Schaden nimmt, muss es so schulen, dass es gleichmäßig zu allen Seiten wird: es muss das Gewicht auf allen vier Beinen tragen, sich zu beiden Seiten hin biegen lassen und sich in einem Spannungsbogen nach oben runden. Um den Spannungsbogen zu erreichen, muss das Pferd den Rumpf anheben können und fleißig untertreten können. Ausnahme: Es gibt auch Pferde, die wenig händig sind, also keine deutlich schlechtere Seite haben. Je nachdem, wie das Pferd gearbeitet wird, kann die Schiefe hier von der einen zur anderen Seite wechseln. Das Ziel, Geraderichtung und Rumpf anheben, bleibt dennoch für alle gleich!
Geraderichtung: Was bedeutet hohle Seite beim Pferd?
Hohle Seite nennt man die Seite des Pferdes, zu der es sich besonders gern biegt. Die Muskulatur dieser Seite ist verkürzter. Die Enden des Pferdekörpers zeigen gern nach links, die Form ähnelt im Extremfall einer nach links gebogene Banane. Das Pferd schiebt sich dabei auf die äußere Schulter, es drängt also auf der linken Hand über die Schulter nach außen.
Geraderichtung: Was bedeutet steife Seite beim Pferd?
Das ist die Seite, zu der sich das Pferd weniger gern biegt. Die Muskulatur ist hier weniger verkürzt, sondern sie lässt sogar in Gegensatz zur hohlen Seite die Biegung dieser zu, wird also im natürlichen Bewegungsablauf eher gedehnt. Das Vorderbein der steifen Seite wird stets mehr belastet, denn das Pferd drängt auf die Schulter der steifen Seite.
Anja Berans Korrektur der Schiefe durch Geraderichtung des Pferdes
Das Pferd von Anja Beran, um über die natürliche Schiefe zu referieren und im Unterricht gezielt zu zeigen, was man dagegen tun kann, heißt Generale Cassa. Er ist 13 Jahre alt und ein typisches nach links hohles Pferd.
Longieren ohne Hilfszügel
Um zu zeigen, zu welcher Seite das Pferd steif ist, zeigt sie es auf Kappzaum an der Longe. Auf der linken Hand versucht Generale Cassa sich nach innen, also nach links, hohl zu machen. Auf der linken Hand longiert, schaut er also gern nach innen und drückt über die Schulter nach außen. So bewegt er sich gern auch im Freilauf, erzählt die Ausbilderin, als ob die Enden des Pferdekörpers stetig nach links drücken. Dadurch ist es an der Longe und beim Reiten anspruchsvoll, eine korrekte Zirkellinie zu halten, denn das Pferd drückt über die Schulter nach außen.
Woran erkenne ich ein Pferd, das links hohl ist?
Dieses Pferd versucht, mit dem rechten Vorderbein und dem linken Hinterbein die Zentrifugalkräfte auf einer gebogenen Linie aufzufangen. Es entsteht für den Reiter der Eindruck, dass das Pferd schwer in der rechten Schulter ist bzw. dort hin drängelt. Die linke Schulter ist freier und das linke Vorderbein trägt weniger Belastung. Typisch ist die gewählte Kopf- und Halsposition: Das links hohle Pferd nimmt den Kopf als Steuerelement tendenziell eher nach links, auch die Augenmuskulatur richtet sich darauf ein, wie auch die Nüstern. Meint: Es schaut eher nach links, Augen und Nüstern zeigen in diese Richtung. Auf der rechten Hand longiert drängelt ein links hohles Pferd gern nach innen. Dabei schaut es nach außen. Auf der linken Hand strebt es nach außen. Dabei schaut es nach innen. Es folgt also der Schulter bzw. dem Vorderbein, das mehr Gewicht trägt.
Woran erkenne ich ein Pferd, das rechts hohl ist?
Das rechts hohle Pferd führt Kopf und Hüfte gern nach rechts. Die Muskulatur der rechten Seite ist verkürzt. Dabei stützt es sich auf das linke Vorderbein auf. Dem Reiter erscheint die linke Pferdeschulter somit als schwer, das ist die Schulter, in dessen Richtung es drängt. Das innere Hinterbein kann bei ausgeprägter Schiefe wenig untertreten. Ein solches Pferd schaut an der Longe tendenziell eher nach rechts.
Was tun gegen die Natürliche Schiefe des Pferdes?
Geraderichtung ist ein zentraler Punkt in der Pferdeausbildung und der Skala der Ausbildung. Genau diese schützt das Pferd davor, auf dem mehr belasteten Bein Schaden durch das Reiten zu nehmen. Für Generale Cassa ist zum Beispiel das Schenkelweichen auf der linken Hand hilfreich – „das ist unser erstes Mittel, um das Pferd von der rechten Schulter weg zu reiten!“ erklärt Anja Beran. Dabei muss das Pferd vom rechten Reiterschenkel wegtreten. Der Reiter hat die Chance, immer wieder mit der rechten Hand nachzugeben, erklärt die Dressurausbilderin. Das Schenkelweichen wird zunächst an der Bande, dann auch auf der Diagonale abgerufen. Durch das zur Seite gehen nach links wird gefördert, dass das Pferd weg von seiner gern belasteten rechten Schulter tritt und an den linken Zügel heran tritt, was er natürlicherweise durch seine Schiefe lieber vermeidet.
Auf der rechten Hand hilft dem Pferd vor allem ein Schulterherein, da dies einen hohen gymnastizierenden Wert hat. Travers, Traversale und Konterschulterherein werden im Schritt genutzt und in ihrer Abfolge verknüpft und logisch aufeinander aufgebaut um bei der Geraderichtung zu helfen.
Was hilft, wenn das Pferd auf die rechte Schulter fällt
Welcher Seitengang für welche Schiefe?
Wichtig ist, die Seitengänge nicht diffus zu nutzen. Achte, auf welche Schulter dein Pferd dir gerade fällt und verlagere danach bewusst das Gewicht auf die andere Schulter bzw. in die Gleichmäßigkeit hinein.
Fällt dein Pferd zum Beispiel eher auf die rechte Schulter, hilft dir auf der linken Hand Schenkelweichen und in Außenstellung reiten. Auf der rechten Hand helfen dir dann Schulterherein und Übertreten. So schaffst du es besser, das Zuviel an Gewicht von der rechten Schulter zu nehmen und dein Pferd in Richtung linke Schulter treten zu lassen.
Außenstellung ist hilfreich
Die Außenstellung ist auch im Kurs von Anja Beran zur Geraderichtung ein Rezept, das gezielt eingesetzt wird. Auf dem Zirkel linker Hand möchte sich der Schimmelwallach zu sehr hohl machen – die Außenstellung hilft dann, die Vorhand und die Schultern wieder gerader zu richten und vor die Hinterhand zu bringen.
Wie gehe ich die Geraderichtung meines Pferdes richtig an?
Jedes Pferd ist schief, hat eine natürliche Schiefe, das wissen wir mittlerweile. Die Seite, zu der es sich natürlicherweise verstärkt biegt, ist die hohle Seite, diejenige, die sich dadurch eher dehnt, ist die Zwangsseite. Doch was tun mit diesem Wissen? Eine Zuschauerin, Lisa, hat genau diese Frage an Ingrid Klimke gestellt. Kluge Frage, also haben wir sie direkt weitergeleitet!
„Wie soll ich die hohle Seite und die Zwangsseite meines Pferdes trainieren?“
Die wichtigsten Infos zur Geraderichtung zum schnellen Nachlesen:
- Mit der Schokoladenseite, der guten Seite des Pferdes, beginnen.
- Das Pferd geschmeidig machen durch Übergänge und übertreten lassen.
- Darauf achten, dass du in diesen Übungsabläufen mit dem inneren Schenkel an die ruhige äußere Hand treibst.
- Auf der Zwangsseite darauf achten, dass das Pferd die innere Hand nicht als Stütze benutzt.
- Um das zu verhindern, helfen zum Beispiel Übergänge an der kurzen Seite oder Volten, die an die offene Zirkelseite angeschlossen werden.
- Hervorragende Übung: Die Acht. Diese Acht kann man sich wie zwei aneinandergehängte Volten vorstellen. Die Figur entspricht dem aus dem Zirkel wechseln, es ist aber nicht festgelegt, wo sie geritten wird und wie groß. Von einer acht-Meter-Volte bis zur Zirkelgröße ist je nach Ausbildungsstand alles denkbar. Je kleiner, desto schwieriger für’s Pferd und seine Balance!